Mitgegeben auf den Weg

04. November 2023
Pastorin Silke Meisner

Drei Jahre lang hat er weiter gemacht, als wäre nichts geschehen. Nach der Beerdigung am Freitag hatte er noch den Samstag und den Sonntag für sich. Am Montag ging er wieder zur Arbeit. Drei Jahre lang schaffte er es, so geräuschlos zu funktionieren, dass die meisten Menschen um ihn herum irgendwann vergaßen, welchen Verlust er erlitten hatte.

Aber irgendwann war das Fass voll und lief über. Es reichte eine Situation bei der Arbeit, in der er sich überfordert fühlte. Heute sagt er dazu: „Es war, als wäre mein Rucksack ausgekippt und alles, wirklich alles, lag vor mir verstreut und durcheinander auf dem Weg.“

Als ich ihn besuche, erzählt er von dem schmerzhaften Gefühl der Heimatlosigkeit und der Entwurzelung. Es gibt nun niemand mehr, mit dem er die Erinnerung teilen kann, wie es früher zu Hause gerochen und geschmeckt hat, als er ein Kind war.

Er erzählt von den geliebten Menschen, die er verloren hat und weint. Er ist überzeugt, dass sie im Himmel auf ihn warten. Dann führt er mir vor, was sie dort tun und wie sie da sitzen werden, wenn er irgendwann kommt - und wir lachen. Am Ende unseres Gesprächs sage ich zu ihm: „So lebendig, wie Sie mir von Ihrer Familie erzählt haben -  die waren doch hier bei uns, die waren doch mit uns hier im Raum!“

Von Novalis stammt der Satz: „Alle Erinnerung ist Gegenwart“. Und so erlebe ich es immer wieder: in der Erinnerung sind unsere geliebten Menschen ganz nah und gegenwärtig.

Im November sind wir auch kirchenjahreszeitlich zu solcher Erinnerung eingeladen. Es ist gut und heilsam, wenn wir uns Zeit dafür nehmen. Und für die Gegenwart.

 

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