„Gedanken zur Zeit"

Nachricht 19. Mai 2015
Pastor_Hülsmann_2014
Pastor Hülsmann

Seine Brüder bezeichneten ihn als zwanghaft. Die Mitglieder des Orchesters nannten ihn perfektionistisch. Niemand stimmte so genau an seinem Instrument herum wie er. Seine Hemden waren immer blütenrein, sie saßen tadellos und waren niemals verschwitzt.
Er setzt sich grundsätzlich exakt in die Mitte des Teppichs. Jeden Fussel entfernte er sofort von seinem klinisch reinen, strahlend weißen Exemplar.
Jedes Mal, bevor er sprach, räusperte er sich. Seine Stimme klang immer glockenrein und war niemals belegt. Wenn er in sein steriles Schnupftuch schnäuzte, faltete er es hinterher wieder korrekt zusammen und verstaute es ordentlich, ohne es zu verknüllen.
Er ging nicht, er schritt; fast schwebte er, so gravitätisch und zugleich so leicht bewegte er sich fort. Dabei ging er grundsätzlich geradeaus oder im rechten Winkel, niemals quer oder schräg oder gar im Bogen. Er liebte die Symmetrie. Die unabänderliche Ordnung, mit der die Lichter am Himmel ihre Bahn zogen, erweckte in ihm religiöse Schauer. Und was ihm niemand zugetraut hätte: Er hatte Humor! Obwohl sein Ordnungssinn es ihm nicht erlaubte, irgendwelche Spuren zu hinterlassen, hätte er sich einmal doch beinahe verraten: Als er das Tuch achtlos zusammengeknüllt in der Ecke liegen sah, machte er sich heimlich davon und legte es akkurat zusammen. Als er zurückkam, hatte niemand etwas bemerkt. Er setzte sich in seinem weißen Gewand in die Mitte seines Wolkenteppichs und spielte sein tadellos gestimmtes Instrument, zusammen mit den anderen Engeln. Auch die hatten von seinem kurzen „Ausflug“ nichts bemerkt.
Nur ein Augenzeuge berichtete später: Das Tuch, mit dem sie Jesu Gesicht im Grab bedeckt hatten, lag nicht bei den übrigen Binden, sondern war getrennt davon und ordentlich zusammengelegt. (Johannesevangelium 20,7)

Ostern heißt: Es ist alles in Ordnung. Wirklich alles.

Matthias Hülsmann, Schulpastor am Gymnasium Walsrode

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