„Gedanken zur Zeit"

Nachricht 13. August 2015

Die Zeit rast. Kaum hat ein Jahr begonnen, ist es auch schon wieder zu Ende. Und je älter ich werde, desto mehr fällt es mir auf. Viele halten das für eine Erscheinung unserer Zeit. Immer wieder höre ich, dass es früher nicht so gewesen sei, dass früher alles beschaulicher und ruhiger zugegangen wäre. War das wirklich so?
Da wundert mich etwas, wie der Verfasser des biblischen Buches Ijob schon vor über zweitausend Jahren die Zeilen geschrieben hat:

Lege ich mich nieder, sage ich: Wann darf ich aufstehn? wird es Abend, bin ich gesättigt mit Unrast, bis es dämmert.Schneller als das Weberschiffchen eilen meine Tage, der Faden geht aus, sie schwinden dahin. Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist..." (Ijob 7,4-7)

Schon damals, schon vor über zweitausend Jahren war es offenbar so, gab es offensichtlich die Erfahrung, dass uns die Zeit geradezu durch die Finger rinnt wie Sand, wie Wasser, das man mit den Fingern nicht halten kann. Zeitmanagement müsse man betreiben, so heißt die Lösung, die ich dann immer wieder höre. Aber je mehr Management ich betreibe, je mehr ich plane, je mehr ich versuche, die Zeit in Strukturen zu pressen und dem Terminchaos mit Managementpraktiken zu Leibe zu rücken, desto schneller rinnt sie dahin, die Zeit. Wenn ich zu Beginn der Woche schon die gesamten sieben Tage überblickte, am Anfang des Jahres schon genau weiß, was am 10. Dezember alles ansteht, dann schrumpft das Jahr zusammen zu einer Kette von Gedanken. Dann wird die Zeit endgültig zu einem Hauch, so wie Ijob es benennt:

Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist...."
 
Ein Fischer sitzt am Strand und blickt auf das Meer, nachdem er den Fang seiner mühsamen Arbeit auf dem Markt verkauft hat. Warum er nicht einen Kredit aufnehme, fragte ihn ein Tourist. Dann könne er einen Motor kaufen und das Doppelte fangen.
Das brächte ihm Geld für einen Kutter und einen zweiten Mann ein. Zweimal täglich auf Fang hieße das Vierfache verdienen! Warum er eigentlich herumtrödele? Auch ein dritter Kutter wäre zu beschaffen; das Meer könnte viel besser ausgenutzt werden, ein Stand auf dem Markt, Angestellte, ein Fischrestaurant, eine Konservenfabrik – dem Touristen leuchteten die Augen. „Und dann?“, unterbricht ihn der Fischer. „Dann brauchen Sie gar nichts mehr tun. Dann könnten Sie den ganzen Tag hier sitzen und glücklich auf Ihr Meer hinausblicken!“ – „Aber das tue ich doch jetzt schon“, sagte darauf der Fischer. 
(aus: Kurzgeschichten 1, W. Hoffsümmer)

Christoph Müller, kath. Pfarrer in Walsrode, Bad Fallingbostel, Bomlitz-Benefeld u. Visselhövede

 

Übersicht Andachten