„Mitgegeben auf den Weg"

Nachricht 08. Mai 2015

Der Mai im Alter

Was soll man dazu denken, wenn jetzt Anfang Mei ein altes Paar auf einer Bank sitzt und im Blick auf die vielen Blumen und Blüten sich fest die Hand hält? – Innig sich die knöcherige oder faltige Hand zu halten: Ist das schön oder eher etwas peinlich?
Als ich vor gut 50 Jahren in Wien studierte, trällerte oft durch den österreichischen Rundfunk die Walzerschnulze „Einmal noch lieben, einmal im Mai…“ Wenn auch die Wiener Mentalität speziell mit dem Thema „Lebensfreude und Todesahnung“ umgeht und wortreicher besingt als wir kühleren Norddeutschen, so kennen wir alle das Gefühl: „Warum geht alles so schnell vorbei?“
Ich bemerke, dass viele Ältere den Frühling bewusster erleben als in den sogenannten „besten Jahren“. Er könnte auch mal der Letzte sein! – Gefühle der Liebe und das Blühen gehören nicht nur als Symbol zusammen.
Wenn wir häufig bei einem nicht mehr ganz jungen Menschen von einem „2. oder 3. Frühling“ sprechen, dann geschieht das oft leicht schmunzelnd oder gar spöttisch. Auch der geht vorbei. Ob er wichtig und schön war oder unnötig und weniger gut, bleibt dahingestellt.
Meine Frage nun im Mai ist eine andere: Ist das Händchenhalten bei einem Paar, das miteinander alt geworden ist, nicht sogar höher einzuschätzen als das Turteln junger Leute? – Ich vergleiche das mit einem alten Apfelbaum, der beim Aufblühen eine besonders zarte Farbe hat.
Ach, es gibt nicht nur den Tanz in den Mai, sondern auch eine nachdenkliche Freude, die das Blühen und das frische Grün als tragenden Lebensmut erlebt. Man sieht, riecht und fühlt den Ursprung des Lebens mit Dank, auch wenn Wehmut dabei ist, weil man um die Endlichkeit aller Dinge weiß.
Das Schönste ist, wenn man im Alter jemanden hat, der versteht, wenn der Andere sagt: „Schau doch mal…“ und dem vertrauten Menschen dann bei der Hand fasst und man summt vielleicht eine alte Melodie wie „Einmal noch lieben, einmal im Mai…!“

Hermann Rathjens, Pastor i.R., Ahausen

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