„Gedanken zur Zeit"

Nachricht 09. April 2016

Der Konfirmand

Der Vierzehnjährige sieht aus wie eine Mischung aus Schaufensterpuppe und Zugschaffner. Auf Strümpfen steht er neben der Umkleidekabine vor dem großen Spiegel. „Das sitzt alles noch nicht richtig“, sagt die Mutter. „Kein Problem“, versichert der Verkäufer, „ wir legen die Falten etwas tiefer ein, dann passt die Hose auch in der Taille wie angegossen. Die Ärmel des Sakkos müssten wohl auch noch etwas gekürzt werden. Das kriegen wir schon. Diese kleinen Änderungen sind für uns gar kein Problem! Wann ist denn die Konfirmation?“ „In vier Wochen.“
In vier Wochen steht der Konfirmand in seinem zurecht gestutzten Anzug zum ersten Mal in seinem Leben im Mittelpunkt eines ganzen Tages. Die ganze Verwandtschaft kommt – seinetwegen. Nicht seine Geschwister, nicht seine Eltern – er wird konfirmiert. Die Gäste gratulieren ihm. Er bekommt die Geschenke. Hoffentlich bekommt er sie. Hoffentlich auch das Geld, das er sich so sehr wünscht. Es wird ihn etwas unabhängiger machen von seinen Eltern und nichts wünscht er sich mehr.
Auch wenn die Eltern es nicht verstehen: Er will sich das supermoderne Smartphone kaufen können. Oder das Geld für den Führerschein sparen. Einen seiner vielen Träume wird er sich erfüllen.
Spätestens am Montag danach aber folgt das große Erwachen – für alle Beteiligten. Eltern und Verwandte sehen: Zurechtgestutzt war nur der Anzug, nicht der Konfirmand. Der steht nun wieder vor ihnen in seinen ausgelatschten Turnschuhen und dem verwaschenen Lieblingspullover. Er weiß immer noch nicht, was er werden soll. Er ist immer noch schlampig in der Schule. Er hat immer noch diese eigenwillige Auffassung von Ordnung und Pünktlichkeit. Und die Erwachsenen? – Die hält er immer noch für  rückständig und das sagt er ihnen auch.
Und wieder seufzen die Erwachsenen: Ach, wenn doch der Junge so leicht umzuändern wäre wie sein Anzug! Wenn man doch seine krausen Gedanken auch einfach glatt bügeln könnte und die sich aufbauschenden Träume ordentlich in Falten legen könnte!
Zurechtzustutzen ist nur der Anzug, nicht der Konfirmand.
Zur Konfirmation gehören natürlich die passende Kleidung und die Geschenke. Aber eigentlich gehören dazu auch Menschen, die wissen: Wir sollten dem Konfirmanden oder der Konfirmandin mehr geben als ein Geschenk, nämlich uns selbst. Vielleicht haben wir den Mut, den bohrenden Fragen stand zu halten. Es gehört Phantasie dazu, an die maßlos scheinenden Forderungen nicht gleich die Elle des Normalmaßes anzulegen, sondern zuzuhören und zu verstehen.
Ich wünsche allen, die bald konfirmiert werden, jemanden, der unterscheiden kann zwischen dem Anzug und dem Menschen, der in ihm steckt.
Ich wünsche allen Konfirmandinnen und Konfirmanden und ihren Eltern und Familien alles Gute und Gottes Segen!

Ute Hülsmann, Pastorin in Gilten.

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