„Gedanken zur Zeit"

Nachricht 07. August 2016

Vergeben und vergessen

„Vergeben ja, Vergessen niemals“ hörte ich mich sagen, „Du hast mich zu sehr verletzt.“ Wir gehen uns aus dem Weg. Wenn wir uns einmal begegnen, geben wir uns geschäftlich. Die Kränkung steht zwischen uns. Ich denke:
Vergebung wird einmal möglich sein; aber Vergessen?
Die Zeit vergeht. Unsere Trennung tut mir immer noch weh. Ich finde es schade, dass unsere Freundschaft nicht mehr sein kann. Ich spüre, dass die alte Geschichte viel zu viel Platz in meinem Leben einnimmt. Ich will meine Kränkung loswerden. Wie kann das gehen?
An einem regnerischen Tag kommt er mir entgegen. Ich war in Gedanken und nehme ihn erst wahr, als er vor mir steht. Ausweichen geht nicht.
Einfach weiter gehen geht auch nicht. Wir stehen einander im Regen gegenüber. Ich spüre den Regen nicht, aber mein rasendes Herz. Eine Weile sagt keiner etwas. Dann höre ich mich sagen – und sehe in seine
Augen: „Ich bitte Dich um Verzeihung. Es tut mir so weh, wenn wir grußlos aneinander vorüber gehen.“ Wir stehen im Regen, schauen uns an. Meine Hand tastet sich vor, sucht seine Hand. Unsere Hände finden sich, halten sich. Für eine Umarmung reicht es noch nicht. Aber in meiner Brust löst sich die Anspannung.
Tränen fließen. Du siehst mich in meinem Schmerz. Ein Gefühl von Befreiung durchzieht mich.
Dann können wir einander lassen, können weiter gehen. Jeder geht seinen Weg. Ich fühle mich befreit von einer Last, und frei auch von Vorwürfen und Rachegedanken.

Pastor i.R. Wilfried Niggeloh, Ahlden

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