„Mitgegeben auf den Weg"

Nachricht 27. Januar 2016

Können Sie nicht lesen?

Vor einigen Tagen besuchte uns meine Schwägerin. Von Hannover bis Wunstorf war sie mit dem Zug gefahren. Doch ab da war die weitere Bahnstrecke gesperrt. Man hatte einen sogenannten Schienenersatzverkehr eingerichtet. Meine Schwägerin trat in einen Bus und fragte den Fahrer, ob dies der richtige Bus sei, um ihr Ziel zu erreichen.
„Können Sie nicht lesen?“, lautete die barsche Antwort des Fahrers. Meine Schwägerin hätte sich schon etwas mehr Freundlichkeit gegenüber einem Fahrgast gewünscht, der sich in der Region nicht auskennt. Aber abgesehen davon:
Was wäre gewesen, wenn sie wirklich nicht hätte lesen können? „Gibt’s doch gar nicht bei uns in Deutschland“, mögen sie denken. Doch, gibt es. Rund 2 Millionen Menschen in unserem Land sind totale Analphabeten, weitere 7,5 Millionen Menschen haben größte Mühe einen geschriebenen Text zu verstehen.
Wer nicht lesen und schreiben kann, fühlt sich oft minderwertig und versucht deshalb, eine Schwäche vor anderen zu verbergen. „Unterschreiben Sie mal für mich“, heißt es dann, „ich habe meine Brille gerade nicht zur Hand.
“ Meine Frau wurde einmal von einer Frau gefragt: „Ich kann die Bibel nicht lesen. Hat Gott mich trotzdem lieb?“ „Das hat er ganz sicher“, hat sie ihr geantwortet. „Nicht weniger, als wenn Sie lesen und schreiben könnten.“ Der Busfahrer hatte es vielleicht gar nicht böse gemeint und war nur gestresst gewesen. Trotzdem sollten wir behutsam mit unseren Worten umgehen, um andere Menschen nicht zu verletzen.

Diedrich Petzold, Pastor in Rethem

Übersicht „Andachten"