„Gedanken zur Zeit"

Nachricht 13. Juli 2017

Zwei Treppenhäuser, dazwischen ein schmaler langer Flur. An einer Seite Gittertüren, die jeweils in eine enge Zelle führen. Mehrere Stockwerke übereinander immer das gleiche. Könnte ein Kloster gewesen sein, war aber ein altes, schäbiges Gefängnis, das man zur Kunsthalle erklärt hat.
Jede kleine Zelle jetzt anders künstlerisch gefüllt.
In einem der oberen Stockwerke plötzlich ein großer Raum, der sich über mehrere Zellen und den Flur erstreckt. Aufatmen, sich aufrichten. Ein meterlanger Tisch darin, sonst nichts. Auf dem Tisch eine lange Papierbahn, die an beiden Tischenden in eine große Rolle mündet.
Beschrieben mit Textblöcken, ganz regelmäßig, einer neben dem anderen, ganz sauber in alten Lettern. Beim näheren Hinsehen: Bibeltext, das erste Buch Mose. Ganz leise Geräusche kommen von dem einen Ende des Tisches. Da werden die Buchstaben kunstvoll geschrieben von einem großen Tintenfüller – in der Hand eines übergroßen Roboterarmes. Bei Kapitel 50 ist er angekommen: „Ihr gedachtet, es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte, es gut zu machen….“ Ungerührt schreibt er weiter, Buchstaben für Buchstaben.
Etwas Berührendes hat dieser Raum, etwas Beruhigendes und Beunruhigendes zugleich, etwas Meditatives, etwas Provokantes, herausgefallen aus der Zeit konfrontiert er mich mit dem Bibeltext. Gottes Wort für mich aufgeschrieben.
So erlebt und weiter zu erleben in Wittenberg in diesem Reformations-Sommer.

Rosl Schäfer, Pastorin der Stadtkirche Walsrode

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