Gedanken zur Zeit

20. November 2018

Andacht Volkstrauertag

Volkstrauertag - Verheißungsvoll klingt das nicht. Volkstrauertag - Trauer wird verordnet – von Staats wegen. Es gab Jahre und Jahrzehnte, da musste man das nicht erklären. Da trauerte das Volk, und nicht nur an diesem einen Tag im Jahr!
Vormals hieß dieser Sonntag: Heldengedenktag – wer erinnert sich noch daran?
Klingt viel positiver, war aber ebenso das Gedenken an die Verstorbenen der Kriege. Es klang nur so, dass dieses Sterben Sinn hatte. Einen höheren Sinn. Ob das Trost gab?
Kam die Trauer erst mit dem „Volkstrauertag“? Mit dem Erschrecken: Was haben wir da bloß für einem Wahn angehangen? Oder kam sie erst, als die Jungen fragten: Was habt ihr da eigentlich gemacht? Warum habt ihr so etwas Menschenverachtendes mitgemacht? Wie konntet Ihr Menschen umbringen, nur weil sie eine andere Religion oder Nationalität oder Partei oder sexuelle Orientierung hatten? Wie konntet ihr das zulassen? Und schweigen?
Gibt es sie, die Trauer auch über das eigene Verhalten, das eigene Tun oder Lassen?
Heute gibt es keinen Grund zur allgemeinen Trauer hier bei uns in Deutschland: Kaum Kriegstote, zum großen Glück nur wenige Opfer von Terror. Es sterben um ein Vielfaches mehr Menschen im Straßenverkehr, durch häusliche Unfälle, Drogenmissbrauch und Gewalt in der Familie.
Können wir den Gedenktag abschaffen oder brauchen wir wieder einen neuen Namen? Was haben wir heute für Gründe, als Volk zu trauern? Trauern, dass die Radikalen wieder lauter menschenverachtende Parolen schreien? Trauern, dass es immer noch Leugnerinnen des schreienden Unrechts im Nationalsozialismus gibt und Anhänger dieser menschenverachtenden Ideologie des „Wir zuerst!“? Trauern, dass es immer noch Rassismus, Angst und Vorurteile gibt? Dass junge Leute mit dem „falschen“ Namen immer noch viel größere Schwierigkeiten haben, gute Noten und einen Ausbildungsplatz zu finden? Eine Arbeit oder eine Wohnung? Trauern, dass in unserem unglaublich reichen Land die Armut bei den Armen wächst? Trauern, dass wir es scheinbar immer noch nötig haben, Kriegsgerät in Krisenregionen zu verkaufen?
Ich bin sehr dankbar und glücklich heute in Deutschland leben zu dürfen – und deshalb sorge ich mich um das, was mir so wertvoll ist: Frieden und Freiheit, Gleichberechtigung für alle Menschen bei uns. Und deshalb trauere ich über Hass, Ungerechtigkeit und Kleingeisterei. Und über jeden Menschen, der Opfer von Krieg und Gewalt wird.

Rosl Schäfer, Diakonisches Werk Walsrode