Mitgegeben auf den Weg

06. Juli 2019
Pastorin Silke Meisner

Liebesdusche

„Bitte, setzen Sie sich auf diesen Stuhl“ sagt der Mann, den ich besuche. Er zeigt auf den einen der beiden Stühle in seinem Zimmer. Einmal in der Woche gehe ich zu ihm, wir kennen uns nun schon seit einigen Monaten. Jedes Mal bin ich gespannt, was er sich heute für meinen Besuch überlegt hat. „Ich habe ja schon gesagt, heute gehe ich mal duschen“ fährt er fort und wedelt dazu mit dem Infusionsständer, als sei dieser ein Duschkopf. Fragend schaue ich ihn an. Dann zeigt er auf ein Strichmännchen, das er auf Papier gemalt und an die Wand gehängt hat. „Das bin ich“, erklärt mir der Mann. Und er wolle mir jetzt mal seine tägliche Liebesdusche demonstrieren. Noch immer gucke ich ratlos. Dann nimmt er sich einen Zettel von dem vorbereiteten Stapel und erklärt: „Ich liebe und ehre meinen Körper von ganzem Herzen. Er ist ein Wunder und das Zuhause meiner Seele hier auf Erden.“ Und wie bei einer Dusche hat er seine Körperteile bedacht und macht ihnen, Zettel für Zettel, eine Liebeserklärung: „Ich liebe meine Haare, diese munteren Antennen.“ „Ich liebe meine Nase, das liebevolle Tor für den Atem meines Lebens.“ „Ich liebe meine Augen, die immer die Schönheit des Lebens anblicken.“ „Ich liebe mein bedingungslos liebendes Herz, in dem Platz ist für das Universum und noch mehr.“
Musik untermalt seine Vorstellung und ich bin sehr bewegt. Der Mann, der seinem Körper diese Liebeserklärung macht, wartet bei uns auf ein neues Herz. Duschen kann er wegen einer offenen Wunde schon lange nicht mehr. Und ich denke an Paulus, der einmal geschrieben hat: „Oder wisst Ihr nicht, dass Euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt?“

Pastorin Silke Meisner, Klinik Fallingbostel

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