Mitgegeben auf den Weg

09. November 2019
Margrit Liedtke
 Diakonin Margrit Liedtke

Im Wandel

Meine Eltern wussten um den Wert der Ressourcen. Bei uns wurde in jedem Raum das Licht ausgemacht, wenn man ihn verließ. Meine Mutter hat fast nie etwas weggeworfen. Alles wurde verwertet. Sie hat das Abwaschwasser zum Klo spülen benutzt, Strümpfe gestopft. Wenn etwas weggeworfen wurde, war es wirklich nicht mehr brauchbar. So waren viele in dieser Generation, denn sie kannten den Mangel. Sie wussten wie es sich anfühlt, kein Dach über dem Kopf zu haben, keine Heimat und keine Verlässlichkeit. Sie haben hart dafür gearbeitet alles wieder aufzubauen.

Aus der Erfahrung heraus wie es ist, wenn ein Menschenleben nichts mehr wert ist, haben sie den Wert woanders gesucht. Unser Land fand seinen Wert in der Wirtschaft, im Geld, in den Anlagen. Das Wirtschaftswunder wurde geboren. Ausruhen, zur Besinnung kommen war Faulheit, Gefühle wurden verdrängt, waren zu schmerzhaft, erinnerten an das, was verloren war. Wir, die nächste Generation, belächelten manchmal diese Sparsamkeit, hatten uns daran gewöhnt, dass alles da war. Die Ermahnungen unserer Eltern konnten wir schon nicht mehr so recht nachvollziehen. Wir wollten genießen, hatten die Freude, die Zärtlichkeit, die Hingabe in unserem Leben vermisst, wussten es aber nicht. Das Leben wollten wir genießen und vieles wurde selbstverständlich, zu selbstverständlich. Das gaben wir auch an unsere Kinder weiter. Hatten wir noch die Stimme unserer Eltern im Ohr, so wuchsen sie doch weitgehend ohne diese Stimmen auf oder ignorierten sie. Nun tauchen diese Stimmen wieder auf und sie kommen von der nächsten Generation als ein Appell, eine Anklage an uns alle. Es sind die Stimmen unserer Eltern. Sie wussten wovon sie redeten und sie wollten, dass wir es einmal besser haben. Dafür haben sie alles getan. Die heutige Jugend klagt uns an. Wissen sie wovon sie reden? Es wird nicht ohne Verzicht gehen, damit etwas Neues entstehen kann. Aber wie kommen wir an dieses Neue ran? Wir versuchen immer nur, die Folgen des Schadens zu vermeiden, der durch die vorangegangene Lösung entstanden ist. Doch die zugrundeliegende Wunde ist immer noch da, wenn wir nur die Symptome bekämpfen. Wir versuchen die Folgen, zu vermeiden, aber nicht die Ursachen. Unsere Aufgabe, und die der nächsten Generationen wird es sein, wieder neu zu lernen was menschliches Leben sein kann, mit mehr echter Freude, mehr Verbundenheit, mehr Liebe, mehr Erfüllung, mehr Lebendigkeit, mehr Muße und mehr Spiritualität. Denn die Sehnsucht wohnt in uns allen.

Margrit Liedtke (Diakonin)

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