Die kleinen Gesten des Alltags
Es war schon 17 Uhr. Der Transporter war immer noch zur Hälfte mit Paketen gefüllt. Der Kurierfahrer verspürte Müdigkeit und schmerzende Füße. Er ging nicht zu den Haustüren, er rannte. Das musste er, um möglichst viel zu schaffen. Es war sehr wahrscheinlich, dass am nächsten Tag die gleiche Menge an Paketen hinzukommen würde. Er wusste, wenn er sich länger als ein paar Minuten hinsetze, würde es noch schwieriger. Ein Wohnblock mit sieben Etagen war die nächste Adresse. Hier musste er zwei Pakete abliefern. Endlich fand er einen Parkplatz. Wieder in den siebten Stock laufen, befürchtete er. Der Fahrstuhl war schon lange kaputt. Er klingelte bei beiden Empfängern und lief die Treppe hoch. Er hörte, dass irgendwo eine Tür aufging und sich schloss. Im vierten Stock angekommen, wartete die junge Dame auf ihr Paket und gab Trinkgeld. Als er weiter nach oben wollte, stand schon ein junger Mann neben ihm, um sein Paket entgegenzunehmen. Drei Stockwerke gespart! Der Fahrer freute sich, auch wenn er kein Trinkgeld bekam.
Etwas Geld zu geben ist keine abzuwertende Geste. Der Kurierfahrer konnte in dem Moment allerdings nicht allzu viel damit anfangen. Geld schenkt nicht immer Zeit und Schmerzfreiheit. Die kleinen Gesten des Alltags verhelfen zu einem besseren Miteinander. Paketboten entgegengehen, an der Supermarktkasse das Portmonnaie schon bereithalten oder dem anderen auf seine Art mit Problemen umgehen lassen. Wie könnte die Liste erweitert werden?
Antje Reichentrog