Mitgegeben auf den Weg

01. Juni 2024

Das schonen wir noch für gut

Als Kind habe ich das oft gehört. Da hatte ich das Geschirr benutzt, das nur „für gut“ war. Oder ich durfte den Lieblingspullover nicht anziehen, weil der „für gut“ geschont werden musste. So ging ich mit dem alten Pullover aus dem Haus; der schöne wanderte zurück in den Schrank „für gut“.
Mit dem Glauben wird oft ähnlich umgegangen: Er ruht im Schrank und wird geschont, nur unter umgekehrtem Vorzeichen: Glaube ist etwas „für schlecht“. Not lehrt beten, sagt der Volksmund, und das ist ja auch richtig so. Darum ist ja das Kreuz zum Zeichen christlichen Glaubens geworden, weil Gott dem Menschen genau dort nahe kommt, wo das Leben vom Leid durchkreuzt wird. Jesus sagt, dass nicht die Gesunden den Arzt brauchen, sondern die Kranken.
Ja, Not lehrt beten. Wenn es einem Menschen schlecht geht, und er kann den Glauben hervorholen, den er aufbewahrt hat, und daraus Kraft und Trost schöpfen, das ist doch ein Schatz.
Hauptsache, man ist nicht schon herausgewachsen. Mit der Kleidung „für gut“ war das ja oft so. Endlich ein Anlass, sie zu tragen, und der Pullover war in den Schultern zu eng, die Hose an den Beinen zu kurz. Wie neu, aber herausgewachsen.
Mit dem Glauben kann das ganz ähnlich sein. Gut aufbewahrt „für schlecht“ – und wenn ich ihn heraushole, dann stelle ich fest: Das ist ja ein Kinderglaube. Er hat so lange geruht, der passt mir ja gar nicht mehr. „Ich bin klein, mein Herz ist rein“ – das hält den Lebensstürmen nicht stand, in die ich als Erwachsener gerate. Kann mich der liebe Kinderhimmelgott trösten, wenn das Schicksal so gar nicht lieb ist und mir das Leben zur Hölle macht?
Es lohnt sich, den Glauben nicht zu sehr zu schonen „für schlecht“. Es tut gut, den Glauben immer wieder einmal herauszuholen und damit umzugehen. Ein Glaube, der ab und zu die Luft des wirklichen Lebens schnuppert, der wächst mit, anders als der nur einmal getragene Konfirmationsanzug. Solcher Glaube hat dann auch Kraft und Trost, wenn das Leben stürmisch wird.

Pastor i.R. Harmut Seelenbinder

Übersicht „Andachten"