„Gedanken zur Zeit"

Nachricht 21. März 2017

Regierung auf Zeit

Eine kuriose Situation: Da kauft im Jahr 1793 der Pfarrer einer Dorfgemeinde für seine Kirche ein Altarbuch. Sein Dorf gehört zu einer kleinen Grafschaft, und so trägt er Sonntag für Sonntag, wie vorgeschrieben, wortgetreu die Bitte vor: „Gott schütze unsere gnädige gräfliche Herrschaft“. Jahre später wird jene Region dem benachbarten Kurfürstentum einverleibt. Das Liturgiebuch bleibt, denn man muss sparen. Der Pfarrer, nach wie vor derselbe und diensteifrig wie zuvor, bessert also nach, streicht durch, schreibt drüber: „Gott schütze unseren Kurfürsten, den edlen Landesherrn“.
Dann kommt Napoleon und bringt Unruhe auf Europas Landkarten und in den Blätterwald der Agenden. Diesmal schreibt der Pfarrer an den Rand: „Seine Majestät, der Kaiser“. Und später, als wiederum Veränderungen anstehen, kleben seine Nachfolger Zettelchen, versehen mit Nummer und Sternchen. Mal steht darauf: „Seine Königliche Majestät“, mal „Landtag, Reichstag, Bundestag“.
Ob man befürchten muss, dass bei solch einer „Zettelwirtschaft“ der umsichtige Beter eines Sonntags an die falsche Regierung gerät? Sicherlich nicht. Denn mit der Fürbitte für jene, die Macht ausüben und Verantwortung tragen, wo auch immer, nimmt es die Kirche genau. Wachsame Beter bleiben dem Geschehen auf den Fersen. Sie reden den Akteuren ins Gewissen und erheben ihre Stimme für die Unterdrückten. Ob kleine oder große Machthaber, im Gebet werden sie alle, jene wie wir, der lenkenden Weisheit Gottes und dessen prüfenden Augen unterstellt.

Friedrich-Wilhelm Stock, Superintendent i.R.

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