Mitgegeben auf den Weg

23. August 2018

Die Schritte meiner Eltern

Inzwischen ist sie über Neunzig. Versonnen blickt sie auf ihr langes Leben. Fast ein ganzes Jahrhundert hat sie durchwandert. „Ich stelle mir vor“, meint sie, „mich hätte all die Jahre über ein Tacho begleitet, hätte gemessen und registriert, wie schnell und wie weit mich meine Füße tragen.“ Kindheit in Ostpreußen, Jugend in Thüringen, Berufsleben in Nürnberg und alles Weitere dann  in Norddeutschland. Als Eltern von vier Kindern waren sie und ihr Mann immer auf den Beinen. In Kriegs- wie in Friedenszeiten, zwischen Umzügen und im Luftschutzkeller.
„Mutter“, das war für die Kinder der Inbegriff von jemandem, der kommt oder aufspringt, eilt, trägt, sucht, bringt, räumt, ordnet, versorgt, pflegt. Immer im Einsatz. Mütter und auch Väter haben das so an sich. Wohl wahr, die Schritte unserer Eltern haben mal eine kräftige Würdigung verdient! Spitzengeschwindigkeit? Nun ja, nur eben Schritttempo. Aber die Gesamtstrecke, die macht’s. Und vor allem deren Ziel. Für wen denn das alles? Etwa für sich selbst? Es tut gut zu erleben, dass die Kinder von einst es als Mütter und Väter längst genauso machen. Zum Wohl ihrer Familien.
Ja, und oft ging Mutter sonntags auch noch den weiten Weg zur Kirche. Dass sie so etwas überhaupt fertigbrachte, bei all der Lauferei für andere! Womöglich war’s aber umgekehrt: Nicht obwohl, sondern weil sie laufend auf den Beinen war, brauchte sie diesen zusätzlichen Weg zur Kirche. Zum Auftanken, vermute ich. Für sie waren das Erntedankfeste, immer neu!

Friedrich-Wilhelm Stock, Superintendent i.R.

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