Liebe Leserin, lieber Leser!
Die Fastenzeit hat begonnen und damit eine Zeit des bewussten Lebens, der guten Vorsätze und des Verzichts auf eine eingeschliffene Gewohnheit oder ein Genussmittel. Wir können heraustreten aus unserer eigenen Alltagsroutine und sind eingeladen, unsere Haltungen und Handlungen zu überdenken sowie gute Vorsätze umzusetzen.
In der Kirche wird am ersten Fastensonntag die „Versuchung Jesu“ aus den Evangelien gelesen – in diesem Jahr nach Matthäus. Bei ihm besteht die letzte Versuchung darin, dass Jesus die Herrschaft über „alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht“ angeboten wird – die Versuchung zur Macht. Eine der größten Gefährdungen von uns Menschen liegt darin, Macht zu missbrauchen.
Formen des Missbrauchs von Macht erleben wir nicht nur bei den Mächtigen dieser Erde. Auch wir selbst sind in unserem Alltag nicht vor Machtspielen im Umgang mit anderen Menschen gefeit: indem wir anderen ein schlechtes Gewissen machen und ihm sein Ungenügen und seine Fehler vorhalten. Dagegen kann sich kaum einer wehren, gibt es doch keinen Menschen, der fehlerfrei ist und allen Ansprüchen Dritter genügt. Eine Form subtiler Machtausübung ist es auch, den anderen durch einen Witz lächerlich zu machen. Da kann man sich nicht wehren, sondern erlebt sich als hilflos. Ein anderes Machtspiel: Wir erpressen den anderen emotional, setzen ihn mit unseren Emotionen unter Druck. Die Fastenzeit möchte uns sensibel machen, dass wir solche Spiele genauer betrachten und uns von ihnen verabschieden. Jetzt ist eine Zeit, in der wir achtsam mit uns und mit anderen Menschen umgehen. Nutzen wir sie als Chance, uns die Gefährdungen im Miteinander bewusst zu machen. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen, dass die Fastenzeit für Sie eine gute Zeit wird, die Ihnen Segen bringt. Es könnte eine Zeit des Trainings in die innere Freiheit werden, eine Zeit, in der Sie bewusst darüber entscheiden, welche Bedürfnisse Sie erfüllen wollen und welchen Sie widerstehen möchten. Ich wünsche Ihnen, dass es für Sie eine gute Vorbereitungszeit wird für das Geheimnis von Ostern, für das neue Leben, das in der Auferstehung Jesu in Ihnen aufstehen kann.
Dr. Eva von Westerholt, Äbtissin des Evangelischen Damenstifts Kloster Walsrode