Am Straßenrand

Der alte Fabeldichter Aesop saß oft an der Straße, die nach Athen führte. Eines Tages, als er wieder einmal am Straßenrand saß und auf die Reisenden schaute, fragte ihn einer von denen, die in die Stadt wanderten: „Sagt mir, welche Art von Leuten lebt da in Athen?“
Aesop entgegnete: „Sagt mir doch erst, woher Ihr kommt und was dort für Leute leben.“
Stirnrunzelnd sagte der Mann: „Ich komme aus Argos. Die Menschen dort taugen nichts, sie sind Lügner und Diebe; ungerecht und streitsüchtig. Ich habe dort keine Freunde gefunden. Ich bin froh, daß ich von dort weg bin.“
„Es tut mir leid“, antwortete Aesop, „daß ich Euch sagen muß, daß Ihr die Leute hier in Athen nicht anders finden werdet als Ihr sie in Argos erlebt habt.“
Eine Zeit danach blieb ein anderer Reisender vor dem Alten stehen und stellte dieselbe Frage: „Sagt mir, welche Art von Leuten lebt da in Athen?“
Und auch bei ihm erkundigte sich Aesop nach seiner Herkunft und nach den Bewohnern der Stadt, aus der er käme.
Der Reisende sagte: „Ich komme aus Argos. Die Menschen, die ich kennen gelernt habe, waren freundlich und ehrlich, wahrheitsliebend und hilfsbereit. Ich habe dort viele Freunde zurückgelassen. Ich bin sehr ungern aus dieser Stadt und von diesen Menschen weggegangen.“
Aesop lächelte und sagte: „Mein Freund, ich freue mich, daß ich Euch sagen kann: Ihr werdet die Menschen in Athen ganz genau so finden, wie Ihr sie in Argos erlebt habt.“ [mündlich überliefert]

Fazit: Oft sehe ich die Dinge und die Menschen nicht so, wie sie sind, sondern so, wie ich bin, durch meine Brille, durch meine Wertmaßstäbe, durch mein Besserwissen, durch meine Vorurteile hindurch.

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